"Heute machen wir den ersten Schritt, um Europa zum ersten Kontinent der Welt zu machen, der Gewalt gegen Frauen beseitigt". Diese bedeutungsvollen Worte sprach Frances Fitzgerald, die Verhandlungsführerin des Europäischen Parlaments, als sich der Rat und das Europäische Parlament auf einen Richtlinientext [1] einigten – nämlich auf die geplante Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt.
Diese wurde im März 2022 von der Kommission vorgeschlagen und im Mai 2024 final[2] vom Europäischen Parlament und dem Rat angenommen. Sobald sie in Kraft tritt – wann ist noch unklar – haben die Mitgliedsstaaten drei Jahre Zeit, um sie in nationales Recht umzusetzen.
Hintergrund
Ein Grund für die Gesetzesinitiative war ua der EU - Beitritt zum Übereinkommen von Istanbul[3], der umfangreichsten internationalen Vereinbarung zum Schutz von Frauen. Die RL beruht zum Teil auf diesem Übereinkommen und zielt darauf ab, dessen Bestimmungen zu ergänzen und bestehende Lücken in der Umsetzung der Unterzeichnerstaaten zu füllen.
Die Bemühungen der EU, Frauenrechte zu verteidigen, harmonieren mit den Sustainable Development Goals (SDGs) der UN. Dabei handelt es sich um 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung, die im Zuge der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung verabschiedet wurden. „Gender Equality“ ist Nummer 5 der SDGs und formuliert Ziele wie „empowerment for all woman and girls“ oder „eliminate all forms of violence against all women and girls in the public and private spheres”.
Inhalt der RL gegen Gewalt an Frauen
Die neue RL zielt darauf ab, unionsweit gegen Gewalt an Frauen vorzugehen, indem sie sie unter Strafe stellt. Folgende Maßnahmen[4] bzw Themen werden im Richtlinientext erwähnt: Strafbarkeit von und Strafen für einschlägige Straftaten, Schutz der Opfer und Zugang zur Justiz, Koordinierung und Zusammenarbeit, Unterstützung der Opfer und Bekämpfung von Cybermobbing.
Im Zuge der Umsetzung der RL sollen in den einzelnen Mitgliedsstaaten die Meldeverfahren optimiert werden, dh Frauen, die Gewalt erleben, können sich einfacher und sicherer anvertrauen. Weiters soll es die Verpflichtung geben, Beratungsstellen und Krisenzentren für Vergewaltigungsopfer einzurichten. Darüber hinaus wird angestrebt, die Strafen und Verjährungsfristen der Tatbestände zu vereinheitlichen und zu harmonisieren. Zudem sollen die Opfer vor und während des Strafverfahrens Unterstützung erhalten, sowie für einen angemessenen Zeitraum auch nach dem Verfahren (Artikel 27-35 RL gegen Gewalt an Frauen).
Als Straftatbestände eingestuft werden sowohl physische als auch psychische, wirtschaftliche und sexuelle Gewalt, gleichgültig ob sie offline oder online passiert. Folgende Tatbestände sollen durch die neue RL unionsweit einheitlich unter Strafe gestellt werden: Zwangsehen, weibliche Genitalverstümmelung, nicht-einvernehmliche Weitergabe von intimen Bildern, Aufstachelung zu Gewalt und Hass im Internet, Cyber-Mobbing und Cyber-Stalking.
Die RL schafft damit Straftatbestände, die Frauen zwar unverhältnismäßig stark als Opfer betreffen, deren Begehung jedoch allgemein kriminalisiert wird (Artikel 5-15 RL gegen Gewalt an Frauen).
Der Tatbestand der Vergewaltigung wurde aufgrund fehlender politischer Einigung nicht in die RL aufgenommen. In der Fassung des Kommissionsvorschlages sollte Vergewaltigung nämlich erstmals unter dem Grundsatz „Nur ja heißt ja“ unionsweit vereinheitlicht strafbar sein. Das bedeutet, dass in Ermangelung einer aktiven Zustimmung zur sexuellen Handlung der Tatbestand bereits erfüllt wäre. Einige Länder wie zB Deutschland und Frankreich blockierten allerdings im Laufe der Verhandlungen über die RL den geplanten Gesetzesartikel, da es die Kompetenzen der EU-Gesetzgebung überschreiten würde. Begründet wurde der Widerstand damit, dass Art 83 Abs 1 der AEUV[5] festhält, das EU weite einheitliche Regelungen nur für die dort aufgezählten Tatbestände möglich seien und die Kompetenz der Union bezüglich Strafrecht der Mitgliedsstaaten fehlen würde. Art 83 bestimmt, dass Strafen nur im Bereich besonders schwerer Kriminalität festgelegt werden dürfen. Hierzu zählen ua „Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, Geldwäsche und Korruption“.
Die RL gegen Gewalt an Frauen und häuslicher Gewalt stellt einen - wenn auch eher späten – Anfang, aber auch einen Meilenstein dar, um Frauenrechte unionsweit zu verteidigen.
Dass der Tatbestand der Vergewaltigung nicht in die RL aufgenommen wurde, ist einer der größten Kritikpunkte, der viel Empörung mit sich zog. Obwohl durch ihr Inkrafttreten das Bewusstsein dafür gestärkt wird, dass sexuelle Handlungen Einvernehmen erfordern und andernfalls strafbar sind, ist nicht absehbar, wann und ob unionsweit ein ausreichender Schutz auf Basis einer gesetzlichen Grundlage geschaffen wird.